Von Ralf
Saint Quay Portrieux am 27.09.24. Unser erster Hafen in der Bretagne. Der Wind heult seit gestern mit bis zu 8 Bft schrill in der Takelage und schwere Regengüsse wechseln sich mit sonnigen Abschnitten ab. Wir blicken auf die ersten gut 800 Seemeilen unserer Reise zurück und freuen uns über eine kleine Auszeit mit ‚freien‘ Hafentagen, die uns eine stürmische Großwetterlage beschert.
Zeit zum Luftholen, Wäsche machen, Spaziergänge, Maintenance oder einfach genießen. So ganz langsam hat sie sich in den letzten 4 Wochen eingestellt, diese tiefere Gewissheit, dass wir hier nicht für nur einige Wochen auf Urlaubstörn sind. Rund sieben Monate sollen es jetzt noch werden, nachdem wir am 30. August in Langballigau mit gut acht Wochen Verspätung die Leinen losgeworfen haben.
Höchste Zeit für einen ersten Rückblick…
Vor der Abfahrt
Die Teilnahme am Pantaenius Rund Skagen Race im Mai sollte mich in vielerlei Hinsicht teuer zu stehen kommen.
Mehrere heftige Unterwasserkollisionen im Skagerrak, bei denen ich mit meinem Boot, wie ich inzwischen weiß, die Reste eines nicht in der Seekarte verzeichneten Wracks getroffen habe, verursachten einen schweren Kielschaden und führten für unsere SKUUM zu einem längeren Werftaufenthalt. Für uns bedeutete das erstmal, dass unsere Planungen kräftig durcheinander gewirbelt wurden und zusätzlich eine Menge Ärger mit dem Versicherer, der bis heute nicht für die volle Schadenssumme aufkommen will. Aber das ist eine andere, längere Geschichte, die noch nicht zu Ende erzählt werden kann… Dabei hatten wir bei alledem noch großes Glück im Unglück, weil wir mit der Blaupause Bootsbau GmbH in Kappeln eine Werft gefunden haben, die unsere SKUUM mit viel Einsatz und Kompetenz mitten in der Hauptsaison schnellstmöglich wieder vollständig hergestellt hat.
Abschied und die ersten Etappen
Unsere verspätete Abreise begann natürlich erstmal mit dem Abschied von Friends and Family. In Langballigau, Kiel und Rendsburg hatten wir Gelegenheit, vielen lieben Menschen persönlich Tschüss zu sagen und einmal mehr zu erleben, wieviele gute Wünsche und Gedanken unsere erste gemeinsame Langfahrt begleiten werden. Ein sehr schönes Gefühl!
So richtig los ging es dann aber mit dem ersten langen 98 SM Schlag von Cuxhaven nach Borkum, der mit guten 6 Bft von achtern gleich mal zünftig begann. Bei mir kamen dabei Erinnerungen an meine erste Langfahrt vor 5 Jahren hoch, als mir zwischen Helgoland und Borkum bei sehr ähnlichen Wind- und Seegangsverhältnissen der Großbaum trotz geriggtem Bullenstander kollabiert war. Etwas, das mir damals gleich zu Beginn der Reise einiges an Improvisation und Planänderungen abverlangte…
Diesmal ging zum Glück alles glatt. Mehr noch: SKUUM verhielt sich vollkommen souverän und rannte mit 9-12 kn auf der Logge wie die Feuerwehr. Yeeeeha!! Purer Genuss!! Sogar Amstel konnte die Tour die meiste Zeit über im Cockpit genießen. Hier zeigte sich zum ersten Mal, welche Vorteile so ein schnelles Boot mit großem, offenem Cockpit haben kann. Der hohe Speed verhinderte weitestgehend jegliche Rollbewegungen, weil die von achtern anrollenden Wellen vom Boot unter Autopilot ohne viel Aufhebens einfach gesurft wurden und Amstel stand wegen des großzügigen Platzangebots nie wirklich im Weg (etwas, was sie sonst eigentlich hervorragend beherrscht).
Im Hafen von Borkum lag dann vor uns eine ältere HR 352 unter französischer Flagge, auf der die Crew zu meiner Überraschung augenscheinlich kein französisch, sondern nur englisch sprach. Wie genau das zusammenhing, sollten wir später in einem französischen Hafen noch erfahren…
Weil es in Gezeitenrevieren neben dem Wind vor allem die Tide ist, die für den Segler den Rhythmus vorgibt, begann die nächste Etappe von Borkum nach Vlieland mit einer Nachtfahrt. Auslaufen um 00:00 Uhr in dunkler Nacht bei Nieselregen und bedecktem Himmel bescherte für Claudia eine neue Erfahrung. Starke Strömung, unbeleuchtete Tonnen und jede Menge Fischer taten ein Übriges dazu.
Am nächsten Morgen gab es zum Tageslicht noch stark auffrischende Winde als Zugabe. Für mich war das und unser stattlicher Tiefgang von immerhin 2,16 m Grund genug, das erstmalige Anlaufen des niederländischen Wattenmeeres mit besonderer Umsicht anzugehen. Eigentlich eine Selbstverständlichkeit für jeden verantwortungsvollen Skipper, klar. Aber nach den üblen Erfahrungen im Skagerrak und dem ganzen daraus folgenden Ärger hat die berühmte Handbreit Wasser unterm Kiel für mich noch einmal besondere Bedeutung erlangt. Umso mehr gilt das für solch ein Seegebiet, in dem sich Priele, Sände und damit die Wassertiefen ständig verändern. Gut, dass ich mir vor Abfahrt noch die neuesten verfügbaren Karten besorgt hatte. Wie wichtig das ist, zeigte unser Echolot und ein Abgleich mit den ebenfalls frisch aktualisierten Navionics Karten. Da zeigten sich teilweise erhebliche Abweichungen, die begründete Zweifel an der Verlässlichkeit der Navionics Karten zumindest in DIESEM Seegebiet hinterließen. Etwas, das sich auf der nächsten Etappe noch eindrucksvoll bestätigen sollte…
Der Hafen von Vlieland Oost hat dagegen immer ausreichend Wassertiefe und ist deswegen zum Glück, wenn man von dem starken Querstrom vor der schmalen Einfahrt einmal absieht, sehr gut anzulaufen. UND: Er ist charmant und superschön gelegen, mit direktem Anschluss an herrliche, riesig breite Strände, auf denen Amstel nach Herzenslust Vollgas geben konnte.
Ich habe es oben schon angedeutet… Einen sehr krassen Beleg dafür, wie vorsichtig man mit den Navionics Karten in den Wattengebieten sein muss, erhielten wir dann auf der Fahrt von Vlieland nach IJmuiden. Wir liefen mittlerweile außerhalb des Wattenmeeres seewärts der Inselkette in tiefem Wasser und fühlten uns navigatorisch eigentlich safe, als wir auf der Höhe des südwestlichen Endes von Vlieland bei leichtem Wind und blauem Himmel plötzlich voraus, genau auf unserer Kurslinie, Brandung sahen. What?? Wir sollten zwar demnächst einige Untiefen passieren, aber ein Blick auf unseren Plotter versicherte uns voraus mindestens 10 m Wassertiefe. Hmmm… Plötzlich zeigte auch das Echolot atemberaubend schnell sinkende Wassertiefen an. Radikale Kursänderung in Richtung Westen. Seekarte raus, um abzugleichen, was da los ist. Und siehe da, die Sände der „Eierlandsche Gronden“ sind zwischen Vlieland und Texel mittlerweile so weit nach Westen hinaus gewachsen, so dass dort, wo Navionics noch gute 10 m Wassertiefe anzeigte, lt. aktueller Seekarte nur noch ca. 1 m Wassertiefe bei Niedrigwasser anzutreffen ist. Alter Schwede! Und das nach der Nummer mit dem Wrack im Skagerrak ausgerechnet mir… Man stelle sich das mal bei Nacht und starkem Wind vor… Der blanke Horror!
Noch ein Reminder, sehr vorsichtig zu sein und stets alle verfügbaren Informationsquellen zu nutzen… Der Rest dieser Etappe verlief dann aber ruhig und ohne weitere Zwischenfälle.
Nach ausgedehnten Strandspaziergängen in IJmuiden (Hammerstrand!) ging es für uns zwei Tage später nach Scheveningen, wo wir die aufziehenden stürmischen Winde im gut geschützten Hafen abwetterten, um einige Tage später am 12. September unsere Reise fortzusetzen. Ehrgeiziges Optimalziel: Dunkerque. Plan B, wenn nicht alles optimal läuft, sollte Nieuwpoort der Zielhafen sein. Und falls es überhaupt nicht gut laufen sollte, wollten wir als Plan C wenigstens über die Scheldemündung hinweg bis Oostende kommen, was mit rund 82 SM auch nicht gerade ein Kurztrip ist.
Nun, wer sich ehrgeizige Ziele setzt, der muss dafür auch etwas tun. Für uns hieß das, um 5 Uhr aus der Koje zu klettern und um 6:30 Uhr auszulaufen (wir brauchen morgens immer etwas länger, bis der Kaffee gekocht, die Brote geschmiert, der Hund sein letztes Geschäft vor dem Ablegen erledigt hat und und und…).
Die Windvorhersage versprach Winde aus stabiler nordwestlicher Richtung von 12-22 kn. Schöner Halbwind, den ganzen Tag. Das klang perfekt für uns und am Anfang schien das auch genau so zu laufen. Doch wir hatten die Segel noch keine halbe Stunde oben, als sich der Wind erst ganz plötzlich abmeldete, um kurz darauf viel zu schwach erst aus östlichen Richtungen, später dann kräftiger aus SW, also genau von vorne, zu wehen. What the f..ck!
Weitere 20 Minuten später wurde plötzlich ein Südwind daraus, um 5 Minuten später plötzlich sogar auf 15-18 kn zuzulegen, auf NW zu drehen und danach alles wieder rückwärts usw.… So eierten wir, ständig die Segel neu trimmend, untermalt von gelegentlichen Flüchen meinerseits, der Maasmündung bei Hoek Van Holland entgegen. Diese Mündung ist gleichzeitig die einzige Zufahrt zum Riesenhafen Rotterdam mit einem Schiffsverkehr wie auf der Autobahn. Für die querende Schifffahrt, insbesondere der Sportschifffahrt, gilt es hier, unbedingt über Funk Kontakt zur Verkehrszentrale „Maas Entrance“ aufzunehmen und die Mündung mit dem Fahrwasser der Großschifffahrt auf kürzestem Wege zu queren. Haben wir gemacht und war auch der Plan. Das ist aber leichter gesagt als getan. Denn das Fahrwasser ist eben nicht nur eine halbe Meile breit. Im Gegenteil, kaum aus der engen Mündung heraus, fächern sich die Kurse der großen Schiffe sofort in alle möglichen Richtungen auf. Die einlaufenden Schiffe umgekehrt genauso. So kreuzte voraus ein dicker Pott einlaufend unseren Kurs von Steuerbord kommend, während gleichzeitig ein großes Fährschiff von Backbord mit schäumender Bugwelle genau auf uns zu hält. Das alles bei einer vollkommen konfusen Kreuzsee und launischen on-off-Winden… Verdammt, ich ahnte es schon. Für mich tat sich ein leichtes Déjà vu auf. Vor fünf Jahren hatte es mir diese Ecke mit der Passage auch schon besonders schwer gemacht. Nur, dass es damals die schlechte Sicht war, die mir neben dem dichten Verkehr zu schaffen machte… Während ich also die Fähre an Backbord wahrnehme und beginne, an einen Anruf über Funk zu denken, schnarrt auch schon die Stimme von „Maas Entrance“ aus dem Funkgerät, die uns anruft. Wir mögen bitte Kurs und Geschwindigkeit beibehalten, dann würde die Fähre, die jetzt noch direkt auf uns zuhält, hinter unserem Heck durchgehen. Aha. Zum Glück machen wir gerade wieder 6 kn Fahrt; hoffentlich hält der Wind jetzt endlich mal durch. Aber dieser Gedanke ist noch nicht ganz zu Ende gedacht, als der Wind sich auch schon wieder abrupt abmeldet. Was daraufhin im Cockpit der SKUUM gebrüllt wird, ist nicht zitierfähig. Genervt werfe ich die Maschine an. Kurs und Geschwindigkeit zu halten, wäre sonst Mission impossible und wir wollen hier schließlich nicht als Vollidioten dastehen und zum totalen Verkehrshindernis degenerieren.
Eine kleine Ewigkeit später haben wir den Zufahrtsbereich endlich hinter uns gelassen und können, dem zurückgekehrten Wind sei dank, auch wieder segeln. Nur, dass wir mittlerweile unserem eigentlichen Zeitplan weit hinterherhinken.
Diese Episode sollte allerdings nicht die letzte Besonderheit dieses Segeltages werden. Denn ab Mittag beginnt der Wind, seine Launen zunehmend in immer längeren Böenphasen von 20-22 kn auszuleben. Okay, das war ja auch so vorhergesagt. Nur, dass es dann zwischendurch ganz plötzlich wieder auf 8-10 kn abflaut. On off, on off… Wie soll man so effektiv segelnd vorankommen? Dunkerque ist schon längst gestrichen. Aber vielleicht geht ja wenigstens noch mit Nieuwpoort etwas?
Die Windlöcher werden nachmittags weniger, dafür werden die Böen-Phasen aber immer heftiger und länger. 24 kn, 26 kn, 27 kn lese ich auf der True Wind Anzeige. Die Böen schlagen wie Geschosse innerhalb von Sekunden ein. Zweimal können wir das Boot mit unserem bis dahin noch ungerefften Großsegel nicht mehr auf Kurs halten und schießen in den Wind. Höchste Zeit zum Reffen! Doch schnell wird klar, dass unser schickes aber auch betagtes Großsegel, das wir mitgenommen haben, doch schon ziemlich altersschwach ist und sich von den kurzen Momenten des heftigen Segelkillens (im Wind flatterndes Segel) mehrere große Risse eingefangen hat. Also ganz runter mit dem Segel und auf dem Großbaum sichern. Für Claudia und mich bei Windstärke 7 harte Arbeit. Weiter geht es nur unter J2 Vorsegel, was der Geschwindigkeit keinen Abbruch mehr tut. Es ballert jetzt durchgehend mit 7 Bft und die Nordsee vor der belgischen Küste beginnt, mit ihren vielen Untiefen und starken Strömungen einen beachtlichen Seegang zu entwickeln. Vereinzelt sind auch im tiefen Wasser schon ordentliche Brecher dabei, die ich aber mit der schnellen SKUUM stets gut aussegeln kann. Claudia ist leider mittlerweile durch Seekrankheit weitgehend außer Gefecht gesetzt und längst ist klar, dass wir auf jeden Fall Oostende als sichersten und am schnellsten erreichbaren Hafen anlaufen werden. Das gelingt dann auch gegen 19:30 Uhr und Claudia ist für das Anlegemanöver zum Glück wieder voll auf ihrem Posten.
Puuha, das war heute echt Arbeit und wir sind froh, als wir endlich an einem Schwimmponton sicher festgemacht haben. Claudia war heute zwar seekrank aber trotzdem mental stabil. Von Angst keine Spur, wie beruhigend. Ebenso Amstel, die sich weiterhin auch unter Deck als komplett seefest erweist und stets mit guter Laune und wedelndem Schwanz an Bord hüpft. So wachsen wir drei als Crew und Team an Bord langsam immer besser zusammen. Da schmeckt das Einlaufbier besonders gut und das Heulen des Windes kriegt plötzlich auch etwas Gemütliches.
Am nächsten Tag haben wir dann plötzlich wieder bestes Sommerwetter und wir beschließen, uns erstmal einige Tage zu entspannen, diese interessante Stadt mit ihrem sauberen und mega breiten Strand genauer anzusehen und in aller Ruhe das Großsegel zu reparieren.
Von hier aus soll es danach nur auf eine kurze Etappe nach Dunkerque gehen.
Was wir dann in Frankreich zwischen Dunkerque und der Bretagne erleben und was es mit der französischen HR 352 auf sich hat, könnt ihr in dem folgenden Artikel lesen,
Bis dahin sage ich erstmal
Au revoir!
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