Von Claudia
Die Planung der Rückfahrt hatten wir lange Zeit nur grob überlegt. Da die Zeit nicht reichen würde, dieselbe Strecke wie auf der Hintour zurückzusegeln (ich muss am 1. April wieder arbeiten), sollen Amstel und ich mit Öffis zurückreisen und Ralf wird SKUUM mit einem Kumpel im Frühjahr über die Biskaya zurücksegeln. So die Idee.
Aber irgendwie fühlt sich das für mich die ganze Zeit schon nicht stimmig an. Wir sind so lange gemeinsam unterwegs, und dann soll ich allein mit einem Zug heimreisen? Außerdem macht mir gerade auch das anspruchsvollere Segeln viel Spaß. Im Dezember teile ich das Ralf mit. Er guckt mich entgeistert an „Ich fahre doch nicht mit dir im Februar über die Biskaya.“ Bin ich zu naiv? „Wir können doch nach einem geeigneten Wetterfenster gucken“, schlage ich vor.
Ralf wäre nicht Ralf, wenn dieser Gedanke nicht in ihm arbeiten würde. Er prüft mögliche Routen und Optionen und fragt mich nach einigen Tagen: „Willst du wirklich zusammen mit Amstel mit mir über die Biskaya?“ Ich: „Ja!“ Dann verkündet er mit funkelnden Augen: „Okay, wir werden es probieren!“ Yeah!!!
Nun geht es an die Planung. Eine Querung von A Coruña schließen wir von vornherein aus. Zum einen bräuchten wir ein stabiles Wetterfenster von drei bis vier Tagen, was in dieser Jahreszeit eher selten ist. Zum anderen wäre das auch für Amstel zu lang. Als optimalen Starthafen macht Ralf daher Gijón aus. Von hier wäre es möglich, in zwei Tagen zu einem Zielhafen zwischen Brest und La Rochelle zu gelangen.
Während die meisten Biskayaquerungen im Sommer von Nord nach Süd stattfinden, wollen wir im Winter von Süden nach Norden. Da sind erfahrungsgemäß allerdings eher Tiefdruckgebiete unterwegs. Was bedeutet das grundsätzlich für Wind und Welle?
- Eine Möglichkeit wäre es, ein aus Südwest kommendes Tiefdruckgebiet abzuwarten, das nicht zu tief in die Biskaya ragt und nicht zu stark ist. Wenn wir in dessen Südost bis Süd-Seite fahren würden, hätten wir südliche bis südwestliche achterliche Winde. Das ist unser Favorit.
- Zweite Möglichkeit: Ist solch ein Tiefdruckgebiet schon weiter durchgezogen, könnten wir auf dessen Rückseite mit Nordwestwind segeln. Das wäre mit ungefähr Halbwind noch gut segelbar. Allerdings hätten wir -wegen der zuvor südlichen und südwestlichen Winde auf der Vorderseite des Tiefs- mit konfusem Seegang zu rechnen. Also mit alter Dünung aus Südost über Süd bis Südwest, die mit der aktuellen Windsee aus Nordwest eine Kreuzsee bildet. Bei dieser Möglichkeit wäre die See daher vermutlich ziemlich unaufgeräumt. Kann man machen, wenn der Seegang nicht zu stark ist. Würden wir auch machen, hurra schreien wir aber nicht bei dem Gedanken.
- Die dritte Möglichkeit wäre es, auf ein im Winter eher seltenes Hochdruckgebiet zu warten (das Azorenhoch ist um diese Jahreszeit meistens weiter im Süden). Das wird von uns aber nicht favorisiert. Wir müssten dann mit Wind aus östlichen Richtungen queren und wir würden vermutlich eine Kreuzsee mit einkaufen: Schwell alter Tiefdruckgebiete von Nord-West würde sich behakeln mit der Windsee aus östlichen Richtungen. Nicht besonders komfortabel und je nach Wellenhöhe auch nicht ungefährlich.
Hinsichtlich der Windbedingungen formuliert Ralf folgende Anforderungen:
- Durchgehend genug Wind (möglichst nicht unter 15 Knoten) für ca. 40 Stunden aus möglichst komfortabler Richtung (achterliche Winde bis etwa Halbwindkurs), damit wir für die lange Strecke nicht zu viel Zeit brauchen (wegen Amstel).
- Nicht zu viel Wind (möglichst nicht mehr als 30 Knoten, keinesfalls über 35 Knoten), um es nicht zu hart werden zu lassen und gefährliche Situationen zu vermeiden.
- Möglichst stabile, gut einschätzbare Großwetterlage. Das ist insbesondere um diese Jahreszeit eher selten. Das Wettergeschehen ist dynamisch, die Vorhersagen sind oft schon nach 6-12 Stunden überholt.
Mit dieser Planung im Kopf beginnen wir am 13.2., uns aus A Coruña in Richtung unseres Absprunghafens Gijón vorzuarbeiten. Zunächst nach Viveiro, wo wir unsere Buddy-Boote Müggele und Antares ein weiteres und vermutlich für lange Zeit letztes Mal wiedertreffen. Netten Ersatz für uns haben sie auch schon gefunden 😉

Von Viveiro segeln wir weiter nach Ribadeo. Von hier wollen wir zum letzten Sprung nach Gijón ausholen. Als Zielhafen der Querung haben wir uns Les Sables d’Olonne ausgesucht. Es hatte uns auf der Hintour dort sehr gut gefallen und wir mussten leider wegen der Hafensperrung (es war schon Vendée Globe) nach zwei Nächten schon wieder weg. Aber erst einmal heißt es für uns: Sorgfältig vorbereiten!
Ralf hat auf dem Bord-Rechner ein Programm fürs Wetterrouting. Damit kann er das individuelle Geschwindigkeitsprofil von SKUUM eingeben, also unsere jeweiligen Geschwindigkeiten in Abhängigkeit zu den Windstärken, den Windrichtungen und den von uns genutzten Segeln. So ist auf Basis einer 48 Stunden-Vorhersage eine halbwegs belastbare Reiseplanung möglich. Die lässt sich auch unterwegs offline noch bearbeiten oder anpassen. Die hierfür notwendigen Wetterdaten erhält er von Meenos Wetterwelt in Kiel.

Über Stunden sitzt Ralf am Kartentisch und plant detailliert die Route. Spielt Szenarien und Kurswechsel durch. Als das Ergebnis steht, erklärt er mir:
Am zweiten Tag, also Mittwochnachmittag bis abends, haben wir mit einem Starkwindfeld aus West-Südwest zu rechnen, das nach Norden hin immer heftiger wird. Dem folgt eine starke Winddrehung auf NNW-N mit Beruhigung gegen 22 Uhr. Wir müssen also vermeiden, im letzten Drittel zu weit im Süden zu stehen, obwohl die Winde dort weniger stark sein werden. Aber wir müssten sonst nach dem Winddreher bei relativ schwachen Winden und noch starkem Seegang hoch am Wind segeln, was ein zügiges Vorankommen verhindern würde. Unter diesem Aspekt wäre es eigentlich besser, eine Ausgangsposition weiter nördlich anzustreben. Aber nur etwas weiter nördlich von der nun gewählten Route sind schon Böen mit bis zu 47 Knoten Wind angesagt, während wir auf diesem Kurs ‚nur’ mit bis zu 34 Knoten zu rechnen haben.“
Wow! Ich fühle mich wieder mal total sicher und gut aufgehoben bei Ralf!
Und auch SKUUM müssen wir für die Querung vorbereiten: Alles muss „flip-over-ready“ gesichert werden. Wir rechnen zwar nicht damit, dass wir in einem Sturm durchkentern, aber wenn es passieren sollte, darf niemand von uns im Boot durch umherfliegende Teile verletzt werden.
- Die lose eingelegten Bodenplatten werden mit eigens von Ralf dafür angefertigten Gurten fixiert.
- Die Fächer unter den Sitzbänken bekommen alle einen Sperrriegel.
- Der kleine Bilgendeckel unter dem Tisch wird mit Klettband fixiert.
- Der nur lose aufliegende Deckel unserer Lebensmittelbox wird mit einer Leine fixiert.
- Der Kühlschrank bekommt einen Sperrriegel.
- Die Deckel zum Stauraum unterm Navisitz und von der Ablage im Kartentisch werden ebenfalls gesichert.
- Zur Sicherung der Steckschotten im Niedergang hatte Ralf schon für die Langstreckenregatta der Nordseewoche eine Befestigung mit Leinen und Karabinern montiert, die nun wieder zum Einsatz kommen soll.


Und auch ich habe mich vorbereitet. Da ich mitunter seekrank werde, habe ich mir Tabletten dagegen gekauft. „Biodramina“, ein spanisches Präparat, das mit den Wirkstoffen Dimenhydrinat, Pyridoxinhydrochlorid und müdigkeitsverhinderndem Koffein dieses Problem in den Griff bekommen soll…
Als letztes checkt Ralf noch Mast und Rigg. Wir sind immerhin schon 2000 Seemeilen in einem beanspruchenden Revier unterwegs. Alles chico!

So vorbereitet kann es morgen losgehen zum Absprunghafen Gijón!
Am nächsten Morgen, als wir aufbrechen wollen, trauen wir allerdings unseren Augen nicht: Ribadeo liegt an einer Ria und an deren Ausfahrt zum Meer brechen die Wellen gerade ziemlich steil und weiß… Und das nicht nur auf einem Teilstück der Ria, sondern immer wieder über die ganze Breite der Bucht! Da durchzufahren wäre viel zu gefährlich. Ralf schlägt vor, dass wir erst einmal eine lange Runde mit Amstel Richtung Meer gehen, um uns das genauer anzusehen. Und das Ergebnis ist klar: Es ist zu gefährlich. Wir laufen heute nicht aus.
Doof ist nur, dass uns damit der heutige Tag für die Fahrt nach Gijón fehlt. Das bedeutet, dass wir unsere Querung von Ribadeo aus starten müssen, was die Querung um etwa 40 Seemeilen verlängert… Aber unser Wetterfenster ist eindeutig und unbarmherzig: Am Dienstag, den 25.2., also morgen, müssen wir mit der Querung starten, weil ab Donnerstag bereits eine Starkwindphase angesagt ist, die eine Biskayaquerung tagelang nicht zulässt. Und danach steigt der Tidekoeffizient und mit ihm die Gezeitenstärke wieder, weil am 28.2. Neumond ist… Wenn wir das Wetterfenster ab morgen nicht nutzen, fällt die ganze Planung zusammen. Also gut, nützt ja nix. Ralf passt die Route an den neuen Starthafen an und wir blicken mit einem freudigen Kribbeln unserem Tourstart entgegen.
Doch daraus wird auch am nächsten Morgen erstmal nichts. Ein Blick auf die äußere Bucht, wo noch immer teilweise gefährliche Brecher zu sehen sind, veranlasst uns, den Start noch einmal bis zum Hochwasser am frühen Nachmittag zu verschieben.
Mittags sieht es dann endlich besser aus, so dass das Risiko aus unserer Sicht vertretbar ist. Das Wetter ist leicht bewölkt. Eigentlich waren 12 bis 15 Knoten Wind vorhergesagt, es sind aber weniger. Wir schlagen die Fock an, befreien das Großsegel vom Baumkleid, starten den Motor und legen ab.
Der Wind würde eigentlich einen sehr komfortablen Start versprechen. Wenn da nur nicht noch immer gelegentlich brechende Wellen in der Mündung der Ria zu sehen wären… Nur vereinzelt und sehr viel niedriger als gestern. Aber die signifikante Wellenhöhe ist ja immer nur ein Mittelwert und gibt die mittlere Höhe des höheren Drittels aller Wellen an. Statistisch ist etwa jede siebte Welle höher. Jede hundertste Welle ist eineinhalb Mal so hoch, jede dreitausendste Welle sogar doppelt so hoch. Diese statistischen Angaben hatten wir in den vergangenen Monaten in natura beobachten können: In regelmäßigen Abständen laufen immer wieder höhere Wellen eindrucksvoll durch. Gerade in flacherem Wasser sollte man diese möglichen Abweichungen nie unterschätzen.
Wir tasten uns also mit SKUUM langsam an die Mündung heran. Etwas angespannt gucken wir auf den Horizont und beobachten das Geschehen. Es ist das erste Mal auf unserer Tour, dass wir den Hafen mit verriegeltem Schiebeschott und eingepickt in die Lifelines verlassen. Ist das schon ein Vorgeschmack auf die nächsten zwei Tage? Wir warten ein Set höherer Wellen ab. Als das durchgelaufen ist, führt Ralf SKUUM direkt auf der Linie des tiefsten Wassers zügig aus der Mündung heraus. Alles geht gut und auf der offenen See fällt die Anspannung von uns ab. Juhu, es geht los!
Das Wetter bleibt mit nur etwa 6 bis 12 Knoten Wind zunächst ruhiger als vorhergesagt. Wir sind ungerefft und mit der J2 unterwegs und genießen die immer wieder durchkommende Sonne. Das soll die Biskaya im Februar sein? Kaum zu glauben. Amstel liegt bei uns im Cockpit, hält die Schnauze in den Wind und drückt sich mit ihrer Hüfte gegen meinen Oberschenkel. Kontaktliegen. Hundeglück.

Wir kommen so jedoch nur langsam vorwärts, so dass unser Routing in Gefahr ist. Auf keinen Fall wollen wir in den Starkwind geraten, der für das Ende unseres Wetterfensters angesagt ist. Ralf beschließt daher, den Gennaker zu setzen. Zeit für Amstel, das Cockpit zu verlassen und es sich in unserer Koje gemütlich zu machen. Ich bringe sie runter und Ralf trägt den Segelsack aufs Vorschiff und bereitet den Gennaker zum Setzen vor.
Genau in diesem Moment kommt die graue Wolke, die sich die ganze Zeit schon am Horizont gehalten hat, auf einmal sehr schnell näher. Und sie schickt einen heftigen Winddreher voraus, der unvermittelt mit doppelter Windgeschwindigkeit in die Segel ballert. Das ist für den Autopiloten zu viel. SKUUM schießt rasant in den Wind. Ralf schaltet vom Vorschiff sofort mit der Fernbedienung den Autopiloten ab und hält den noch nicht angeschlagenen Gennaker fest, damit der nicht von Bord weht. Er ruft mir zu „Steuer!“ Ich springe auf den Cockpitboden und greife die Pinne. Ein mega Druck! Ich kann die Pinne kaum halten, kniee mich hin und umfasse sie mit beiden Händen. „Wohin?“ brülle ich nach vorne. „Halt einfach das Boot auf Kurs!“ ruft er zurück, während er vorn gut gesichert das Segel festhält.
Das Wetter zeigt nun einen gänzlich anderen Charakter. Ein heftiger Schauer geht nieder, peitscht mir ins Gesicht und erschwert die Sicht. Ich ziehe den Kopf ein und steuere SKUUM nach Gefühl hoch am Wind. Mist… was ist das??? Ralf auf dem Vorschiff und ich muss das Boot auf einen sicheren Kurs bringen… Ich hoffe, dass ich keinen Fehler mache und ihn da vorne vom Boot abkegel. Ralf ist zwar gesichert, aber die Vorstellung, dass ich irgendwann mal bei so einem Wetter ein Mann-über-Bord-Manöver fahren muss, ist meine größte Sorge. Wann ist dieser Spuk vorbei?
Irgendwie schaffe ich es, das Boot sicher auf Kurs zu halten. Und plötzlich lassen Wind und Regen genauso abrupt nach, wie sie gekommen sind. Ralf aktiviert den Autopiloten wieder und kommt nach hinten ins Cockpit. Der Schreck ist mir in die Glieder gefahren. Sowas brauche ich nicht nochmal! Unausgepackt bleibt der Gennaker zunächst vorn liegen. Doch nach der Böe stabilisieren sich die Winde, so dass wir ihn für etwa zwei Stunden doch noch setzen können. Nun kommen wir endlich gut vorwärts.
Die erste Nacht bricht an. Was für ein Sternenhimmel! Ich kann es kaum fassen. Wir segeln zu zweit im Februar auf der Biskaya und die Sterne funkeln magisch. Wow! Wir wechseln uns mit den Wachen ab. Nun ist der Wind gut segelbar, genau wie unser Wetterrouting ihn vorhersagt.
Am nächsten Tag nimmt der Wind wie erwartet deutlich zu. Wir haben für mehrere Stunden immer wieder Böen von 28 bis 32 Knoten, oft gewürzt mit Regenschauern. Champagnersegeln ist das nicht, aber wir mögen es beide ja gern auch mal etwas herausfordernd. Und in den heiteren Abschnitten genieße ich ein Sonnenbad im Cockpit.
Mittags nähern wir uns dem von uns mit Spannung erwarteten Rand des Kontinentalschelfs. Bislang hatten die höheren Wellen etwa vier bis viereinhalb Meter Höhe. Weil sie langgestreckt waren, kam uns das oft gar nicht so hoch vor. Was wird jetzt hier passieren?
Kleiner Einschub: Die Biskaya ist ein Randmeer des atlantischen Ozeans. Durch den tiefen Einschnitt reicht sie bis über den Kontinentalschelf hinaus und geht in die Tiefsee über. Der Übergang ist jeweils nur wenige Seemeilen breit, ist also relativ steil. Die Karte zeigt eindrucksvoll die Tiefseebereiche der Biskaya.

Kartenquelle: Eric Gaba (Sting – fr:Sting) – see Celtic Sea and Bay of Biscay bathymetric map-fr.svg, CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=33688497
Man sieht, dass die Wassertiefe in einem relativ kleinen Übergangsgebiet von etwa 200 Metern auf mehrere Tausend Meter abfällt. Das führt dazu, dass es in dieser Zone Verwirbelungen der Gezeitenströme gibt, die je nach Tide mit oder gegen die Hauptwellenrichtung setzen. Das hat denselben Effekt wie eine Wind/Welle-gegen-Strom-Situation in Küstengebieten: Der gegen die Welle wirkende Strom verkürzt die Wellenlänge. Die Bewegungsenergie einer Welle, gekennzeichnet durch Wellenhöhe und Wellenfrequenz, bleibt aber in so einer Situation erhalten. Das heißt, die Wellen werden steiler und höher. Werden sie zu steil, brechen sie, was sehr gefährlich werden kann. Deswegen sollten Phasen mit starken Tideströmungen, also Springzeiten zu Vollmond oder Neumond, für eine Biskayaquerung auf einer Yacht eher gemieden werden. Diese Übergangszone von Tiefsee zu Kontinentalsockel trägt maßgeblich zum schlechten Ruf der Biskaya bei.
Und tatsächlich sehen wir, dass die Wellen mit der Verringerung der Wassertiefe urplötzlich deutlich höher und steiler werden. Plötzlich reiten wir Wellen von sechs Metern oder mehr Höhe ab, die teilweise am Kamm schon weiß sind! Wie hoch werden sie noch werden? Und vor allem: Werden sie brechen? Dazu taucht am Horizont wieder eine graue Wolke auf. Oh no, bitte nicht schon wieder!!! Der Winddreher vom Vortag steckt mir noch in den Knochen. Ausgerechnet hier in diesem ohnehin schon anspruchsvollen Gebiet brauchen wir nicht auch noch Böen und ansteigende Windsee! Ralf und ich gucken uns an. „Mal gucken, was noch kommt“ liest jeder unausgesprochen im Gesicht des Anderen ab. Fakt ist: Wir haben hier den höchsten und steilsten Seegang unserer bisherigen Reise. Längst steuert Ralf mit Hand. Souverän führt er SKUUM durch die Wellen. Am vorderen Wellenhang beschleunigt SKUUM auf bis zu 16 Knoten Speed! Hammer! Irgendwie ist das ja ein aufregender Spaß… wenn auch fast schon grenzwertig…

Wir binden sicherheitshalber das erste Reff ins Großsegel. Das macht die Sache deutlich besser kontrollierbar. Ich habe vollstes Vertrauen in Ralf und SKUUM. Und es wird nicht enttäuscht. Sicher gelangen wir wieder in den Schelfbereich der Biskaya.
Für den Abend sagt unser Wetterrouting einen Winddreher voraus, gefolgt von nachlassenden Winden. Der kommt tatsächlich, aber schon um 18 Uhr. Und wir haben noch gut 100 Seemeilen vor uns! Das verlangsamt unser Vorankommen deutlich und die Schlussphase zieht sich nochmal ordentlich in die Länge. Die zweite Nacht bricht an. Der Wind ist zum Teil so flau, dass wir ab und zu den Motor unterstützend anwerfen.
Ich finde es ja immer wieder spannend, wie bei so langen Touren neben dem Segeln auch die Lebensprozesse in den Fokus rücken. Essen, Trinken, Toilettengänge, Schlafen… Alles muss irgendwie in den Wechsel von Wachen und Freiwachen gepackt werden. Ich bin heilfroh, dass meine Tabletten sehr gut wirken. Auch der Aufenthalt in der Kajüte macht mir überhaupt nichts aus 🙂

In der Morgendämmerung erreichen wir unser Ziel Les Sables d’Olonne. Ein herrlich pastellfarbener Himmel taucht die Silhouette dieses Segel-Mekkas in ein unbeschreiblich schönes Licht.

Wir strahlen uns an. Geschafft!!! Wir haben die Biskaya zu zweit mit Amstel im Februar gequert!!! Unser Wetterfenster hat perfekt funktioniert. Ich habe Gänsehaut, als wir in den berühmten Kanal einfahren. So ähnlich müssen sich wohl auch die Vendée Globe-Finisher fühlen. Wir klatschen uns ab. Give me five! Das freudige Grinsen will gar nicht mehr aus dem Gesicht verschwinden. YEAH!
Da wir den Hafen bereits von der Hintour kennen, wissen wir, wo wir anlegen können. Als erstes bekommt Amstel eine Hunderunde. Wir packen die Segel ein. Es gibt einen Kaffee und ein schönes Frühstück. Und dann genießen wir eine heiße Dusche in den luxuriösen Waschräumen… Herrlich! Wir sind jetzt Biskaya-Querer!!!

Bei einem Rückblick auf die Tour fassen wir unsere Eindrücke zusammen.
Ich war überrascht von der Bandbreite des Wetters. Dass wir teilweise (zum Ende) mit Motorunterstützung fahren mussten, hätte ich nicht erwartet. Die plötzliche Regenböe am Anfang und die steileren Wellen beim Überfahren des Kontinentalschelfs hingegen schon.
A und O der Querung war, da sind wir uns einig, gutes Timing (keine Springphase) in Verbindung mit sorgfältigem Wetterrouting. Gerade am Schelfrand halte ich das sogar für unerlässlich. Wer hier zum falschen Zeitpunkt ist, begibt sich und sein Boot in ernsthafte Gefahr!
Ralf, der die Biskaya nicht zum ersten Mal überquert hat, freut sich ebenso wie ich über den gelungen Coup, diese Tour mitten im Winter durchgeführt zu haben und auch darüber, wie gut sich unsere SKUUM wieder einmal geschlagen hat. Sie blieb, nicht zuletzt durch ihr Beschleunigungspotenzial, auch beim Abreiten der höchsten Wellen stets voll kontrollierbar und hat sich einmal mehr als hervorragendes Seeschiff erwiesen.
Zum guten Schluss noch ein wenig Statistik:
Unser Tracking hat auf dieser Etappe 321 Seemeilen erfasst.
Das beste Etmal betrug dabei 182 Seemeilen.
Dadurch haben wir, trotz der Verzögerung zum Ende hin, für die Überfahrt nur 44 Stunden gebraucht.

Nun freuen wir uns auf ein paar sonnige Tage hier, bevor wir die nächste Etappe Richtung Heimat machen werden. Dass der Aufenthalt in Les Sables noch ein besonderes Highlight bereithält, sei einem anderen Artikel vorbehalten. Dieser ist ja schon wieder ganz schön lang geworden…
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