Von Ralf
Sainte-Marine am 12.10.2024. Nach einem längeren Zwischenstop in Camaret-sur-Mer, wo wir die atemberaubende Natur der Halbinsel Crozon und die besondere Atmosphäre des Hafenortes genossen haben, sind wir an der sogenannten „Bretonischen Riviera“ angekommen. Doch zu diesen Episoden später in einem anderen Artikel mehr…
Es ist allerhöchste Zeit für ein Update unseres Blogs. Inzwischen stapeln sich in meinen Kopf so viele Erlebnisse und Geschichten, dass mir fast schwindelig wird.
Immerhin endete meine Erzählung zuletzt in Oostende. Meine Güte, ist das schon lange her…
Gehen wir also nochmal zurück nach Oostende, wo kurz vor unserer Abreise ein RIB der Polizei in den Gästehafen einläuft. Kurz darauf stehen 3 Polizeibeamte in dunkelblauen Uniformen vor SKUUM auf dem Ponton und kündigen freundlich eine Kontrolle des Bootes an. Äh, ja, okay, gerne doch…
Nun bin ich ja von Berufs wegen sozusagen vom Fach und deshalb gespannt darauf, was die belgischen Kollegen alles sehen wollen. Und das ist tatsächlich ganz schön viel. Nach den üblichen Fragen, woher wir kommen, wohin wir wollen, wer denn alles auf diesem Boot reisen würde, dem Checken unserer Ausweispapiere und deren fahndungsmäßiger Abfrage kommt meine Skipperlizenz an die Reihe, gefolgt vom Eigentumsnachweis für das Boot (sehr hilfreich der Internationale Bootsschein des DSV!) und der Urkunde für die Seefunkstelle. Als sich das Interesse im Weiteren auf Details unserer Sicherheitsausrüstung zu erstrecken beginnt (Feuerlöscher, Seekarten, Anzahl von Signalraketen und Handfackeln usw.) kann ich zwar seelenruhig unsere umfangreiche Ausrüstung vorzeigen, lasse aber irgendwann auch meinen eigenen beruflichen Hintergrund durchblicken, verbunden mit dem Hinweis darauf, dass unser Flaggenstaat Deutschland für die Ausrüstung von Sportfahrzeugen nicht besonders viele Anforderungen stellt. So wird denn auch meine interessierte Frage, was denn nach belgischen Gesetzen passieren würde, wenn wir jetzt weniger Feuerlöscher, Signalraketen o.ä. mitführen würden, mit einem Lächeln und der Antwort „Nothing“ beantwortet. Man sei bei diesem Thema eher beratend unterwegs, aber wir seien ja vorbildlich ausgerüstet. Stimmt! 🙂 Damit ist dann der offizielle Teil der Kontrolle auch beendet und wir haben noch einen netten Chat über Polizeiarbeit im Allgemeinen und auf See im Besonderen.
Die danach folgende Etappe nach Dunkerque verläuft bei ruhigem Wetter ohne spektakuläre Ereignisse. Aber kaum haben wir dort am Besucherponton festgemacht, bricht es aus Claudia hervor. Aus ihrem Handy dröhnen die Bläck Fööss mit ihrem Hit „Fronkreisch, Fronkreisch“ und sie führte dazu einen Freudentanz auf.
Äh, what….? Amstel guckt auch etwas verdutzt, was denn da plötzlich bei ihrem Frauchen abgeht und ich muss laut lachen.
Tatsächlich hat sich auch bei mir mit dem Hissen der französischen Gastlandflagge irgendwie so ein erstes YEAH-Gefühl von „Ankommen“ eingestellt. Jetzt sind wir in dem Land angekommen, das für längere Zeit unser Gastgeber sein soll. Großbritannien mussten wir ja leider wegen des späten Abreisedatums und der ablehnenden Einreisebestimmungen für mitsegelnde Hunde aus unserer Törnplanung streichen.
Was dem industriell geprägten Hafengebiet von Dunkerque an Charme abgeht, holt die Stadt mit ihrem (besonders bei Niedrigwasser) irre breiten und nahe am Hafen liegenden Strand mit der charmanten Promenade schnell wieder heraus. Amstel kann nach Herzenslust Gas geben und ist danach auch bereit für einen entspannten (!) Promenadenbummel.
Irgendwann nach uns hat dann ganz am Ende des Besucherpontons noch eine ältere HR 352 mit französischer Flagge festgemacht. Da aber der Weg zum Land mit Hafenbüro und Sanitärgebäude für uns in die entgegengesetzte Richtung führt, haben wir nicht weiter Notiz davon genommen.
Nur am nächsten Morgen, als wir früh zu unserer nächsten Etappe nach Boulogne-sur-Mer aufgebrochen sind, registriere ich im AIS ca. 6 Meilen voraus eine französische Segelyacht mit dem Namen PAHI. Ein Blick auf MarineTraffic sagt mir, dass es diese ältere HR 352 sein muss, die mir am Vorabend am Gästesteg kurz aufgefallen und heute Morgen bei unserem Ablegen schon verschwunden war. Hat die vielleicht dasselbe Ziel wie wir?
Wir haben frische östliche Winde und ein kräftiger Tidestrom hilft uns dabei, mit 9-10 Knoten Fahrt über Grund schnell voranzukommen, obwohl uns Schiffsverkehr und lateral betonntes Fahrwasser einen relativ ineffektiven Vorwind-Kurs am Rand des Tonnenstrichs aufzwingen.
Kurz hinter Calais beginnt dann am späten Vormittag die Tide zu kentern und die französische Segelyacht, zu der wir mittlerweile auf Sichtweite aufgeschlossen hatten, ändert den Kurs und läuft auf den Hafen zu. Schade, ich hatte schon gehofft, dass wir erfahrene Locals vor uns haben, die uns den besten Weg durch den nun anstehenden Gegenstrom weisen würden. Na, dann eben nicht.
Der Ostwind soll im Laufe das Tages noch weiter zulegen. Ganze 7 Bft. sind angekündigt. Dazu die jetzt kenternde Tide (einen Tag vor Vollmond und damit am Beginn der Springtiden-Phase), die uns in diesem Seegebiet mit seinem Trichtereffekt zwischen Ärmelkanal und Nordsee locker 3-4 kn Gegenstrom bescheren dürfte. Also eine klassische Wind-gegen-Strom Situation unter verschärften Bedingungen. Etwas, was man als Segler eigentlich besser meidet. Ich bin gespannt…
Dass ich mich überhaupt darauf eingelassen habe, hat mit dem großen Geschwindigkeitspotenzial von SKUUM und den bisher guten Erfahrungen bei ähnlichen Bedingungen zu tun. Immerhin sind für uns auch zum Höhepunkt der gegenläufigen Tide theoretisch durchaus noch 5 kn Fahrt über Grund drin.
Mit ungerefftem Großsegel, durch tight gesetzten Bullenstander gesichert, und der J4 als Vorsegel geht es also auf einem tiefen Raumschot-Kurs mit 8-10 kn auf der Logge in das nun anstehende Rodeo. Innerhalb kurzer Zeit verändert die See ihr Gesicht. Schnell zeigen sich flächendeckend weiße Schaumkronen auf den steiler und höher werdenden Wellen.
SKUUM macht ihrem Namen einmal mehr alle Ehre und stürmt weiter unverdrossen unter Autopilot voran. So richtig entspannt bin ich trotzdem nicht.
Ich ahne nämlich, dass da noch mehr kommen wird. Und so kommt es dann auch…
Am frühen Nachmittag hat der Wind weiter zugenommen und die Tide gleichzeitig ihren Höhepunkt erreicht. 30, 31, 32 Kn, bis zu 33 kn Windgeschwindigkeit können wir jetzt gelegentlich auf der True Wind Anzeige ablesen und von achtern haben wir es mit steilem, oft brechenden Seegang zu tun. Bis ca. 2 m, gelegentlich vielleicht sogar bis zu 2,5m hoch… Dem Autopiloten habe ich eine längere Pause verordnet und steuere das Boot jetzt von Hand, um die Wellen jederzeit optimal nehmen zu können. Längst bin ich auch auf einen „Dead Down“ Vorwindkurs gewechselt. Die J4 ist quasi nur noch als Stützsegel eingesetzt und tight an Luv dichtgeholt, also damit back gesetzt.
Anders ist das Boot mit ungerefftem Groß und ohne nach Luv ausgebaumtes Vorsegel bei diesen Wind- und Seegangsbedingungen nicht mehr sicher zu kontrollieren. Aber das geht dann auch erstaunlich gut. Wir werden zwar manchmal ordentlich durchgeschüttelt, reiten aber weiterhin mit hoher Fahrt die steilen Seen ab, ohne auch nur ein einziges Mal aus dem Ruder zu laufen. Trotz reichlich weißem Wasser von Achtern.
Und: Trotz unseres relativ niedrigen, weit offenen Heckspiegels haben wir zu keiner Zeit eine nennenswerte Menge Wasser im Cockpit. Für den Einstieg einer Welle von Achtern sind wir immer zu schnell unterwegs. Eine sehr wichtige Erfahrung zum Verhalten des Bootes und ein gutes Gefühl! Außerdem sind wir auch zum Höhepunkt der Tide nie langsamer als mit 5-6 kn über Grund unterwegs. Ich muss grinsen, als mir dieser Riesenvorteil gegenüber einem klassischen Tourenboot so richtig bewusst wird. 😁
So laufen wir denn auch schon gegen drei Uhr am Nachmittag in Boulogne-sur-Mer ein und können den Tag nach dem Festmachen mit dem obligatorischen Einlaufbier bei gechilltem Sonnenschein und später bei Fast-Vollmond und schönstem Sternenhimmel in Ruhe ausklingen lassen.
Als ich am nächsten Morgen noch etwas verschlafen den Kopf aus der Luke stecke, liegt am Fingersteg direkt neben uns eine ältere HR 352. Es ist die PAHI, die gestern nach Calais abgelaufen war. Die musste irgendwann in der Nacht eingelaufen sein. Hmm.., der Name kam mir gestern schon irgendwie bekannt vor. Außerdem hat dieses Boot an den Seiten der Reling ziemlich alte, leicht ramponierte Solar-Module montiert. Genau so wie das Boot, das seinerzeit in Borkum für einen halben Tag vor uns gelegen hatte. Sollte das…? Aber im Cockpit sitzt jetzt ein Mann, den ich noch nie gesehen hatte. Seltsam. Das macht neugierig…
Also schnell etwas angezogen und rüber zu einem kleinen Schnack unter Nachbarn. Auf meine Frage nach dem Woher und Wohin lächelt der Mann freundlich und ruft auf Spanisch etwas ins Bootsinnere, worauf ein schlanker Mann von ca. Mitte sechzig Jahren im Cockpit erscheint und anfängt zu strahlen, als er mich neben seinem Boot sieht. DIESEN Mann habe ich tatsächlich auf Borkum schon gesehen, aber dort offenbar mit vollkommen anderer Crew segelnd. Auch er hat unsere SKUUM und mich wiedererkannt.
Er antwortet in gutem Englisch und stellt sich als Gonzales aus Bilbao vor. Auf meine etwas verdutzte Frage, wieso er unter französischer Flagge segelt, meint er, dass das einfach praktischer sei. In Spanien gäbe es schrecklich viele Regeln und Vorschriften für einheimische Yachtbesitzer. Deshalb hätte er eben die französische Flagge gewählt. Aah ja, ookay…
In diesem Moment erinnere ich mich an eine Episode meiner Langfahrt vor 5 Jahren in Lissabon. Dort hatte ich mich zunächst über die vielen Boote unter irischer Flagge gewundert, bis ich mich im Hafen mit João anfreundete, dessen Boot auch unter irischer Flagge segelte. Wie er mir damals erklärte, würden viele portugiesische Eigner ihre Boote wegen der vielen strengen Ausrüstungsvorschriften, denen einheimische Boote unterliegen würden, lieber ‚ausflaggen‘. Dort eben vorzugsweise nach Irland.
Gonzales jedenfalls fährt fort und erzählt, dass er jetzt auf der Rückreise von einem längeren Sommertörn sei, der ihn teils Single handed, teils mit wechselnden Crewmitgliedern, über Irland, Schottland, Norwegen und Schweden in die Ostsee, durch den NOK und die Nordsee bis hierher geführt habe. Auf Borkum war auch ein Engländer dabei, der kein spanisch spricht, weshalb dort alle immer nur untereinander englisch gesprochen hatten.
Gonzales hat am Vortag die gegenläufige Tide bei Starkwind lieber gemieden und stattdessen in Calais eine Pause mit anschließender Nachtfahrt eingelegt. Es folgt ein sehr netter Austausch zu Seglers Erfahrungen, die nächsten Etappenziele usw.
Da der Yachthafen von Dieppe ausgerechnet jetzt wegen Baggerarbeiten gesperrt ist, müssen wir gleich den Sprung über 109 SM nach Le Havre anpeilen. Dazwischen gibt es leider keinen Hafen, der bei Springtide mit unseren 2,16m Tiefgang funktionieren würde. Das ist schon ein ziemliches Brett, wenn man mit einem Hund an Bord reist, der zwar hart im Nehmen ist, aber sich einfach weigert, sein Geschäft an Bord zu verrichten…
Deswegen geht es für uns am nächsten Morgen auch schon um 5 Uhr los. Heißt für uns, 03.45 h aufstehen. Wer mich ein bisschen kennt, weiß, dass das nicht gerade meinem Biorhythmus entspricht… Aber, wie heißt es so schön? Das Leben ist hart an der Küste and the Tide is the King…
Als die erste Morgenröte am Himmel erscheint, sind wir längst auf See. Eigentlich sollten wir auch jetzt schon 20 kn Mittelwind aus östlichen Richtungen haben. Später am Tag soll es sogar noch in Böen bis auf 30 kn aufbrisen. Deshalb sind wir auch eher konservativ unterwegs und haben vorne die J4 angeschlagen.
Jetzt aber sind wir von dem angesagten Windverhältnissen noch weit entfernt. Gerade mal 8-12 kn lassen uns zwar etwas Fahrt machen, aber bei weitem nicht genug, um die ohnehin lange Fahrt für den Hund nicht zum großen Problem werden zu lassen. Hmm… Erstmal abwarten, vielleicht tut sich ja noch etwas.
Gegen 10 Uhr haben wir noch immer keine 7 kn auf der Logge. Höchste Zeit den Gennaker zu ziehen! Wenn es später doch noch ordentlich aufbrisen sollte, wechseln wir eben wieder auf die J4.
Kaum ist das Segel oben, meldet sich auch der Wind und zeigt erste Anstalten, doch noch zuzulegen. Das war ja mal wieder klar! Egal, jetzt lassen wir den A3 stehen und schauen erstmal, was so geht…
Und das ist einiges.
Ruckzuck laufen wir mit 8-9 kn Fahrt durchs Wasser. Das sollte aber noch lange nicht alles sein. Kurze Zeit später legt der Wind weiter zu. Erste Böenphasen mit 18 – 20 kn lassen SKUUM schon mal zweistellige Werte auf die Logge zaubern. Juchuuu! Jetzt geht’s endlich mal ordentlich voran…
Bis hierhin können wir es uns für längere Zeit locker leisten, die Gennakerschot fest auf der Winsch zu fahren. Das ungereffte Groß braucht, durch Bullenstander gesichert, ebenfalls nicht bedient zu werden. EINFACH schnell segeln ist das Motto. Ich kann genießen und Claudi ist damit beschäftigt, Fotos und Videos zu machen. Der Wind aber nimmt langsam noch weiter zu…
Mit unserer kleinen Downwind-Idylle ist es dann jäh vorbei, als die ersten 22-24er Böen einschlagen. Das Steuern ist zuletzt langsam anspruchsvoll geworden und es dauert nicht lange, bis wir unseren ersten Sonnenschuss hinlegen. Mein Ruf „FIIIIEREEEN!“ trifft Claudi mit ihrem Foto-Handy in der Hand einigermaßen unvorbereitet und kommt deshalb leider zu spät.
Innerhalb von Sekunden ist das Boot nicht mehr zu kontrollieren und die neue Parole lautet „FESTHALTEN!!“ Wir biegen scharf nach Steuerbord ab und legen uns gepflegt auf die Seite. Das war es dann aber auch. Kurzes Segelkillen, Gennaker fieren und zack, zurück auf Kurs.
Ab jetzt ist erstmal Schluss mit der Fotosession. Aktives SEGELN ist jetzt angesagt und Claudia fährt zum ersten Mal so einen Gennaker bei viel Wind dynamisch mit der Schot und Winsch-Unterstützung quasi aus der Hand. Fieren, kurbeln/dichtholen, wieder etwas fieren, kurbeln/dichtholen usw. Und das klappt auch ziemlich schnell ganz gut. Also können wir den A3 noch stehen lassen und weiterballern.
Zwischenzeitlich ist die Tide gekentert und kommt für einige Stunden von vorne. Schon wieder Wind gegen Strom… Aber nicht ganz so wild, wie auf der vorigen Etappe. Die Wellen sind zwar steiler geworden und tragen Schaumkronen, aber das ganze bleibt mit unserem neuen Setting mit aufmerksamer Doublehand-Crew trotzdem weiter gut beherrschbar.
Wer hätte das gedacht? Wir laufen mittlerweile überwiegend mit 10-12 kn, manchmal sogar 13 kn durchs Wasser. Nicht nur kurz mal für 2-3 Sekunden die Welle herunter. Nee, das ist jetzt in den Böenphasen schon richtig dauerhaftes Gleiten! Wie ein Surfer kann ich mit dem Boot die Wellen abreiten. Von Welle zu Welle durchgleiten, die nächste See überholen und dabei nochmal schneller werden. Immer wieder. Mit jeder Böe aufs Neue. Über Stunden. Yeeeehaa!!!!! Was für ein g.e.i.l.e.s Gefühl!!
Doch die TWD Anzeige klettert weiter. Längere Phasen mit 24 kn sind jetzt schon normal. Manchmal sogar 25, 26 kn. Allmählich kommt ein etwas mulmiges Gefühl auf. Für uns ist das jetzt so ganz langsam zu einem Ritt auf der Klinge geworden. Die See wird immer gröber und das Boot immer schwerer kontrollierbar. Es wird wohl höchste Zeit, den Kite runterzuholen. Gerade gedacht und ausgesprochen, als plötzlich 27 kn auf der TWD-Uhr stehen und wir den nächsten fetten Abflug hinlegen.
Okay, jetzt nur die Ruhe bewahren und schnellstens runter mit dem Segel! Als wir wieder steuerfähig sind, falle ich auf beinahe Vorwindkurs ab und übergebe das Ruder an den Autopiloten. Das Boot stürmt schon wieder wie wild nach vorn… Ich prüfe, ob der Autopilot damit klar kommt und den Kurs sauber hält. Dann gehe ich mit meiner Fernbedienung um den Hals gut gesichert mit Lifeline aufs Vorschiff. Claudia fiert auf mein Kommando die Schot des Gennakers, damit ich den Bergeschlauch (eine der besten Anschaffungen des letzten Jahres) herunter über das Segel ziehen kann. Fast schon Schwerstarbeit bei diesen Bedingungen. Doch kaum steckt das Segel in der Pelle, ist alles easy. Das Fall fieren und die ‚Wurst’ einpacken ist für uns schon Routine. Dank der Fernbedienung kann ich noch vom Vorschiff aus wieder etwas anluven und zurück auf den alten Kurs gehen. Selbst nur unter Großsegel laufen wir noch immer wie die Feuerwehr, während der Wind kurze Zeit später schon bis auf 29 kn zulegt. Puuha, den Kite haben wir wirklich keine Minute zu früh heruntergeholt.
Am Ende dieses fantastischen Segeltages haben wir den Gennaker über 7 Stunden hinweg ambitioniert gesegelt, dabei sogar zweimal gehalst (dank Bergeschlauch bei Ballerwind auch für uns beide gut machbar) und für die 109 Seemeilen nur 13 Sunden gebraucht. Wir beide sind voll geflasht und haben so ein gewisses Dauergrinsen im Gesicht…!
In Le Havre machen wir am frühen Abend direkt neben unseren neuen Freunden von der Pahi fest, die bereits am Vorabend zu einer Nachtfahrt gestartet waren und jetzt, nachdem sie nur einige Stunden vor uns eingetroffen sind, offenbar schon fest schlafen.
Aber wir haben ja nicht nur gesegelt, sondern auch Land und Leute etwas besser kennen gelernt.
So haben allerspätestens in Le Havre einige Klischees und Vorurteile, die sich aus früheren Zeiten in meinem Kopf über die Franzosen eingenistet hatten, ordentlich Risse bekommen.
Ich meine damit so Pauschal-Urteile wie:
„Die Franzosen pflegen weder ihre Häuser, noch ihre Autos oder ihre Boote. Alles wird eher nur genutzt und höchstens mit minimalem Aufwand instand gehalten, damit es gerade noch funktioniert…“
Das passt für mich, zumindest nachdem ich jetzt diverse Städte und Orte in der Normandie und der Bretagne gesehen habe, überhaupt nicht mehr!
Weder habe ich mehr beulige, klapprige Autos gesehen als z.B. in Deutschland, noch in irgendeinem Hafen einen nennenswert großen Anteil an ungepflegten Booten.
Und was die Häuser angeht, gehe ich sogar noch einen Schritt weiter. Die große Anzahl von extrem gepflegten und ebenso aufwändig wie geschmackvoll hergerichteten Häusern aller möglichen Altersklassen und Baustile und auch die vielen liebevoll angelegten Gärten haben mich bei Streifzügen durch die Ortschaften, in denen wir bisher waren, sehr beeindruckt.
Okay, es gibt sie natürlich vereinzelt noch, diese Häuser, die einen leicht morbiden, verkommenen Charme versprühen. Aber die sind längst nicht mehr so dominierend, wir ich es von früheren Reisen (lange her) in Erinnerung hatte. Soviel also zu meinen ganz persönlichen neuen Einsichten über unser Gastgeberland.
Zurück zu unserer Reise. Gonzales von der PAHI erwartet neue Crew, mit der er möglichst in einem Rutsch bis nach Spanien segeln möchte. Nicht jedoch, ohne mich vorher noch in einem ausführlichen Briefing mit jeder Menge Reviertipps zur spanischen Nordküste zu versorgen. Einladung nach Bilbao inklusive. Wir sind gespannt…
Unser nächster Schlag wird uns bis nach Cherbourg führen. Für unsere SKUUM gewissermaßen eine Rückkehr in wohlbekannte Gefilde. Immerhin hatte ihr Vorbesitzer sie seinerzeit dort gekauft. Was wir dort erleben und wie es von dort weitergeht, erfahrt ihr im nächsten Artikel, der dann auch nicht ganz so lange auf sich warten lässt. Versprochen! 😇
Bis dahin sage ich AU REVOIR!
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